Das neue gesetzliche Notvertretungsrecht des Ehepartners



🔗 In der Not frisst der Teufel Fliegen…

Das neue gesetzliche Notvertretungsrecht des Ehepartners

Das Problem

Wenn der Ehepartner plötzlich seine eigenen Angelegenheiten nicht mehr regeln kann, etwa durch einen Unfall, stand bisher in der Praxis der andere Ehegatte oft ziemlich hilflos da, wenn ihm keine Vorsorgevollmacht erteilt worden war. Die Heirat allein führte, zum Erstaunen vieler Betroffener, nämlich nicht dazu, dass man für den Ehepartner Entscheidungen fällen, oder auch nur Auskünfte erhalten konnte… Der Gesetzgeber hat versucht, mit dem seit 1.1.2023 geltenden Notvertretungsrecht Abhilfe zu schaffen.

Die Lösung?

🔗 § 1358 BGB räumt dem Ehepartner – durch 🔗 § 21 LPartG auch dem eingetragenen Lebenspartner – das Recht ein, seinen Gatten im Bereich der Gesundheitssorge zu vertreten. Die hierbei zu beachtenden Umstände kann man wie folgt zusammenfassen:


Voraussetzungen

• Vertretungsbedürftigkeit aufgrund Bewusstlosigkeit oder Krankheit

• Bestehende Ehe

• Angelegenheit der Gesundheitssorge

Ausschlussgründe

1. Getrenntleben

2. Ablehnung der Vertretung

3. Erteilte Vollmacht

4. Ablauf von 6 Monaten

5. Betreuung


Wie auf den ersten Blick zu erkennen, müssen die beiden Personen miteinander verheiratet (oder eingetragene Lebenspartner) sein. Sie dürfen nicht getrennt leben und der betroffene Gatte darf nicht bereits vorab das Notvertretungsrecht abgelehnt haben. Der Notfall darf nicht länger als 6 Monate zurückliegen. Es darf keine Bevollmächtigung oder 🔗 Betreuung vorliegen, die die Gesundheitssorge umfasst.

Wenn ein Bevollmächtigter da ist?

Der vorsichtige Mensch hat natürlich bereits eine Vorsorgevollmacht an Personen seines Vertrauens erteilt. Nach dem Gesetz greift das Notvertretungsrecht nicht, wenn der kranke Ehepartner „jemanden zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigt hat“. Das gilt natürlich nur, wenn die Vollmacht sich auch auf die Angelegenheiten bezieht, die die Notvertretung erfasst. Wenn dieser „jemand“ der andere Ehepartner ist, dann braucht er die gesetzliche Vertretungsbefugnis gar nicht. Er handelt dann einfach als Bevollmächtigter. Wenn es eine dritte Person ist, etwa ein Kind, dann hat der andere Ehepartner kein Notvertretungsrecht! Es kommt also nicht zu einer Verdoppelung der Vertretungsbefugten oder zu einer Verdrängung des Bevollmächtigten durch den gesetzlich vertretenden Ehegatten. Ein Problem taucht auf, wenn z.B. das bevollmächtigte Kind seine Vollmacht gar nicht ausüben kann, weil es nicht vor Ort ist, oder aber sie nicht ausüben will (akuter Streit mit dem betroffenen Elternteil, emotionale Überforderung durch die Notlage o.ä.). Das Gesetz spricht nämlich nur davon, dass man „jemanden bevollmächtigt hat“. Das reicht schon, um das Notvertretungsrecht auszuschließen. Der Wortlaut setzt nicht voraus, dass der Bevollmächtigte auch tatsächlich von seiner Vollmacht Gebraucht macht! Das würde bedeuten, dass die Ehegattenvertretung ausgeschlossen ist, ohne dass als „Ersatz“ der Bevollmächtigte aktiv wird – und also müsste ein Betreuer bestellt werden – was doch eigentlich durch die Neuregelung vermieden werden sollte. Vernünftigerweise wird der Gestalter der Vorsorgevollmacht dafür Vorsorge zu treffen versuchen!

Wie krank muß der Ehepartner sein?

Nicht jeder Notfall löst indes das Notvertretungsrecht aus. Es greift nur, wenn die Person aufgrund von „Bewusstlosigkeit oder Krankheit“ ihre Gesundheitssorge nicht mehr selbst wahrnehmen kann. Nur dann besteht überhaupt Vertretungsbedarf. Dieser Zustand ist nicht gleichbedeutend mit fehlender Geschäftsfähigkeit, sondern meint nur die fehlende Fähigkeit zur Bildung oder Äußerung des natürlichen Willens, der auf Fragen der eigenen Gesundheit gerichtet ist. „Behinderung“ wird übrigens als Grund nicht erwähnt, anders als etwa bei der Frage nach einer Betreuungsbedürftigkeit.

Die Zeit läuft…

Das Notvertretungsrecht erlischt in jedem Fall sechs Monaten nach dem Auftreten des Vertretungsbedarfs, selbst wenn dieser danach noch weiter andauert. Diese kurze „Haltbarkeit“ ist natürlich auch ein Grund, warum die 🔗Vorsorgevollmacht nicht überflüssig geworden ist. Wann die Frist begonnen hat, das steht in der Bestätigung des Arztes, der dort den Zeitpunkt angibt, ab wann der Ehegatte aufgrund der Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten nicht mehr besorgen konnte, vgl. unten. Wann der Arzt die Bestätigung ausgestellt hat, ist für den Fristbeginn hingegen nicht bedeutsam.

Vertretungsmacht heißt nicht Eigenmächtigkeit

Die Ausübung des Vertretungsrechts muss immer im Sinne der bekannten oder mutmaßlichen Wünsche des nicht mehr handlungsfähigen Ehegatten erfolgen. Hat er eine 🔗Patientenverfügung, so gilt diese vorrangig. Wenn sie indes anstehende Fragen nicht regelt, greift das Notvertretungsrecht. Der vertretende Ehegatte darf sich dann bei der Auswahl verschiedener Handlungsmöglichkeiten aber nicht für die entscheiden, die ihm selbst am besten gefällt, sondern muss die nehmen, die der vertretene Gatte gewählt hätte, wenn er selbst die Entscheidung hätte fällen können. Das ist natürlich immer auch Spekulation und Prognose, je nachdem, wie detailliert die Lebenseinstellung des betroffenen Gatten gewesen ist, bzw. wie viel davon überhaupt bekannt ist. Manche einer beschäftigt sich ja lieber nicht mit diesen unschönen Fragen… Der Ehepartner wird den Bindungen unterworfen, die auch für Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte gelten.

Umfang der Vertretungsmacht

Der vertretende Ehegatte kann wirksam in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbehandlungen und in ärztliche Eingriffe einwilligen – oder diese untersagen – und ärztliche Aufklärungen entgegennehmen. Falls nötig, kann er sogar in freiheitsentziehenden Maßnahmen einwilligen. Solche sind z.B. das Anbringen von Bettgittern oder die Gabe beruhigender Medikamente. Sie dürfen aber im Einzelfall nicht länger als sechs Wochen dauern und erfordern eine betreuungsgerichtliche Genehmigung.

Zwar spricht das Gesetz nur von der Gesundheitssorge (als ein Teil der Personensorge), aber auch „ein wenig“ Vermögenssorge ist mit dem neuen Notvertretungsrecht möglich, nämlich der Abschluss und die Durchsetzung von Behandlungs- und Krankenhausverträgen und solchen über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und Pflege. Außerdem kann der vertretende Ehegatte Ansprüche, die dem vertretenen Gatten aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, geltend machen und an die Leistungserbringer der o.a. Verträge abtreten. Er dürfte also z.B. auch eine Klage gegen einen Unfallverursacher im Namen des Ehegatten einlegen.

In anderen als den vorbeschriebenen Vermögensangelegenheiten hat der Ehepartner indes keine Vertretungsmacht. Das kann sehr misslich sein, etwa wenn allgemeine Bankgeschäfte zu erledigen sind, oder etwa ein Widerspruch beim Finanzamt eingelegt werden muss. Ob zur „Durchsetzung“ an sich zulässigerweise abgeschlossener Behandlungsverträge, vgl. oben, auch die Überweisung der Kosten vom Konto des vertretenen Ehegatten gehört - und wie dessen Bank feststellen will, was zu den erfassten Maßnahmen gehört und was nicht, das muss wohl die Praxis zeigen. Gleiches gilt für die Frage, ob z.B. auch ein Anwaltsvertrag für die oben erwähnte Klage im Namen des Ehegatten geschlossen werden kann bzw. ein Vergleich mit der Versicherung über Forderungen im Zusammenhang mit der Krankheit. Ein solcher kann etwa auch einen Verzicht auf weitere Forderungen enthalten – und im Gesetz ist nur davon die Rede, dass Ansprüche geltend gemacht werden dürfen, nicht, dass auf solche verzichtet werden kann…

Arztbestätigung

Der Arzt, dem gegenüber das Vertretungsrecht ausgeübt wird, hat dem vertretenden Gatten eine schriftliche Bestätigung über das Bestehen des Vertretungsrechts auszuhändigen. Darin sind das Vorliegen der Vertretungsbedürftigkeit und der Zeitpunkt ihres Beginns sowie das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe zu vermerken. Der vertretende Ehegatte seinerseits muss dem Arzt dazu schriftlich versichert, dass er das Vertretungsrecht bisher noch nicht ausgeübt hatte und Ausschlussgründe nicht vorliegen. Rechtliche Aussagekraft dürfte diese Bestätigung jedoch nur im Hinblick auf den Beginn der Vertretungsbedürftigkeit haben.[1]

Scheidungsantrag stört nicht?

Erstaunlicherweise ändert ein Scheidungsantrag nichts am Bestehen des Notvertretungsrechts! Es wird vielmehr erst durch ein rechtskräftiges Scheidungsurteil beendet, oder dann, wenn die Partner im familienrechtlichen Sinne getrennt leben. Das ist der Fall, wenn mindestens einer die eheliche Gemeinschaft aufheben möchte und deswegen eine Trennung von Tisch und Bett vollzogen hat.[2]

Wenn ein Betreuer in’s Spiel kommt

Hierbei ist wohl zu differenzieren, wann im Verhältnis zum Notfallzeitpunkt ein Betreuer bestellt wurde, vorher oder nachher: Bestand schon beim ersten Auftreten der Vertretungsbedürftigkeit eine Betreuung für Gesundheitsfragen, entsteht schon gar kein Notvertretungsrecht des Ehegatten. Wird hingegen erst im Laufe der Behandlung ein solcher Betreuer bestellt, dann „darf“ der Ehegatte ab diesem Moment nicht mehr vertreten, so das Gesetz. Anders als bei den sonstigen Ausschlussgründen ist damit aber wohl nicht gesagt, dass das Vertretungsrecht dann gar nicht mehr besteht – man darf es als Gatte nur nicht mehr ausüben, denn es war am Anfang ja „ordnungsgemäß“ entstanden.

Diese Unterscheidung hätte den Vorteil, dass z.B. eine Einwilligung des Gatten wirksam wäre, wenn der Arzt, dem gegenüber sie erklärt wurde, bezüglich der in diesem Moment fehlenden Betreuerbestellung gutgläubig war. Er würde sich also nicht z.B. wegen eines Eingriffs ohne Einwilligung strafbar machen (wegen Körperverletzung) bzw. die Behandlungskosten blieben ordnungsgemäß abrechenbar. Es ist ja denkbar, dass der vertretende Ehegatte am Vormittag eilig in einen Eingriff einwilligen muss und eine Stunde später das Gericht die Betreuung anordnet. Dem vertretenen Gatten gegenüber würde sich der andere Ehepartner durch solch ein „verbotenes“ Gebrauchmachen von der Vollmacht aber theoretisch schadenersatzpflichtig machen, jedoch nur, wenn ihm vorwerfbar die Betreuerbestellung unbekannt war, was in der Praxis eher nicht vorkommen wird, wenn der vertretende Ehegatte nach bestem Wissen und Gewissen handelt.

Die Unterscheidung könnte, was sicher praxisrelevanter wäre, auch durchschlagen auf die Entbindung von der Schweigepflicht. Jeder behandelnde Arzt ist dem notvertretungsberechtigten Ehegatten gegenüber nämlich von der Schweigepflicht entbunden. Wenn hingegen kein Vertretungsrecht besteht, gilt die Schweigepflicht! Wurde nach anfänglichem Bestehen des Notvertretungsrechts später ein Betreuer bestellt, dann bestünde es bei dieser Lesart des Gesetzes weiter, es darf dann nur nicht mehr ausgeübt werden – aber Auskünfte kann der Ehegatte weiterhin noch erhalten. Bestand jedoch von Anfang an Betreuung, hat der Ehegatte keine Auskünfte zu erhalten, denn in Absatz 3 des § 1358 BGB steht ausdrücklich, dass dann diese Berechtigung nicht besteht.

Verwaltungsfragen

Das 🔗Zentrale Vorsorgeregister hat im Zuge der Einführung des Notvertretungsrechts seine Bedeutung noch gesteigert. Dort kann jetzt auch dessen Ablehnung verzeichnet werden. Zugleich wurde die Einsichtsmöglichkeit auf Ärzte erweitert. Bisher war sie auf Betreuungsgerichte beschränkt. Ärzte können daher jetzt nachsehen, ob und welche Maßnahmen eine Person hat registrieren lassen, ob also z.B. eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung erteilt wurde, oder ob das Notvertretungsrecht abgelehnt wurde. Sie können über die dort hinterlegten Kontaktdaten beispielsweise Bevollmächtigte zu erreichen versuchen. Neu ist auch die Möglichkeit, unabhängig vom Vorliegen einer Vollmacht die Tatsache eintragen zu lassen, dass eine Patientenverfügung errichtet wurde. Schon bisher konnte eine entsprechende 🔗 Betreuungsverfügung vermerkt werden.

Fazit

Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des § 1358 BGB versucht, den Patienten und Dienstleistern in den Krankenhäusern und Pflegeheimen eine praktische Hilfestellung zu geben. Die Reichweite des gesetzlichen Vertretungsrechts ist jedoch inhaltlich und zeitlich beschränkt. Außerdem hat die Regelung fast so viele Fragen aufgeworfen, wie sie beantwortet hat. Hier wird sich erst im Laufe der Jahre mehr Klarheit einstellen, wenn die Gerichte hierzu Entscheidungen gefällt haben. Eine gut gemachte Vorsorgevollmacht ist daher keineswegs überflüssig geworden. Gleiches gilt für die Patientenverfügung. Das Gesetz bleibt ein Notbehelf. Und in der Not…

Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Autoren wieder, erfolgt ohne Obligo und ersetzt keine Rechtsberatung im Einzelfall.

© RA & Notar Dr. Matthias Zillmer / Dipl.-Jur. Amelie M. Pinior, 2023.

[1] Grziwotz: Vorsorgevollmacht, ErbR 2023, 95, 102.

[2] MüKoBGB/Roth, 9. Aufl. 2022, BGB § 1358 Rn. 4 und 19; Jurgeleit: Die gesetzliche Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge in NJW 2023, 1, Rn. 13.